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Kaum ein Designer bringt die Verbindung von Tradition und Moderne so auf den Punkt wie der Japaner Issey Miyake. Seine Entwürfe sind seit mittlerweile 45 Jahren Ausdruck einer Ästhetik der Sinne.

Kaum ein Designer bringt die Verbindung von Tradition und Moderne so auf den Punkt wie der Japaner Issey Miyake. Seine Entwürfe sind seit mittlerweile 45 Jahren Ausdruck einer Ästhetik der Sinne, das Konzept des A-POC – „A Piece of Cloth“, wonach ein komplexes Kleidungsstück aus nur einem Stück Stoff entsteht – ist auch heute noch so spannend wie aktuell. Yoshiyuki Miyamae, der seit 2012 das Designteam Miyakes anführt, teilt die Begeisterung des Markengründers und sieht noch viel Potenzial für neue Überraschungen

Herr Miyamae, der Name Issey Miyake steht international für innovative Stofflichkeit und intelligente Schlichtheit. Was bedeutet für Sie das Phänomen „Mode“?
Issey Miyake ist ganzheitlich darin bestrebt, zeitgenössische Produkte zu entwickeln – für uns hat das nichts mit „Fashion“ oder „Trends“ zu tun, vielmehr geht es darum, den Menschen eine Kleidung zu bieten, die zu ihrem Leben im Hier und Jetzt passt. PLEATS zum Beispiel ist das Ergebnis der Suche nach einer Kollektion, die dem Träger Komfort bietet und Hand in Hand mit seiner Lebensführung geht. Konzeptuell ist diese Linie so flexibel, dass diese Idee auch in T-Shirts und Jeans resultieren kann, also in ganz alltäglichen Kleidungsstücken. Ich beschäftige mich viel mit weltweiten Entwicklungen und hoffe, mit meinen weiteren Ideen und Entwürfen die Menschen immer wieder überraschen zu können.

Viele Designer ziehen heute visuelles „Entertainment“ einer echten Entwicklung in der Mode vor – mehr statt besser. Wie stehen Sie dazu?
Heute geht es den meisten Firmen nur darum, in möglichst kurzer Zeit günstige Kleidung herzustellen. Dieser „Fast-Fashion-Zyklus“ ist zum Mainstream geworden und bestimmt das Denken und Handeln großer wie kleiner Marken und ihrer Designer. Wir bei ISSEY MIYAKE glauben nicht daran. Wir wollen nachhaltige Werte schaffen, die es so noch nicht in unserer Gesellschaft gibt. Es gibt diesen Miyake-Genpool, aus dem wir schöpfen, aber die Träger unserer Kleidung, unsere Fans, erwarten von uns bisher Ungesehenes, sie wollen immer wieder überrascht werden. Ich hoffe natürlich, dass mein Team und ich diesen Ansprüchen weiterhin gerecht werden können.

Kann es so etwas wie das perfekte Kleidungsstück geben? Lohnt sich die Suche danach?
Wenn ich gestalte, konzentriere ich mich nicht auf Material oder Form, sondern die Begrifflichkeit „楽-raku“ bildet meinen Leitsatz – im Japanischen beinhaltet diese Wendung Eigenschaften wie „Freude“, „Ungezwungenheit“, „Zufriedenheit“ oder auch „Behaglichkeit“. Alles fügt sich, wenn dieser Leitsatz erfüllt werden kann. Ich bin der Meinung, dass der Mensch heute Kleidung braucht, die ihm im Alltag – sei es nun die Arbeit, ein Business-Trip oder Freizeit – nicht im Weg steht. Diese Art der „Perfektion“ hat viele Gesichter.

Kleider müssen genutzt werden und altern dürfen!
Unbedingt. So sind auch Reinigung und Langlebigkeit ein Thema für mich. Stoffe sollen waschbar sein und auch mal auf einem Wäscheständer trocknen dürfen, ohne an Form oder Farbe zu verlieren. Und wenn es geschieht, muss dieser Prozess eine Entwicklung des Stücks sein und darf nicht, des Makels wegen, dessen Ende bedeuten.

Sind wir mit zunehmender Digitalität auch versessener auf Perfektion geworden – weil sie uns ein Leben ohne Makel vorgaukelt?
Ja und nein. Natürlich sind viele Bereiche unseres Lebens heute digitalisiert – Bildung, Kultur und besonders soziale Kontakte –, aber diese Technologie ist so weit verbreitet, dass viele Menschen nun erst recht Sinneseindrücke wie Haptik oder Geruch wieder zu schätzen wissen. Die wechselhaften Gefühle und die Sinne des menschlichen Körpers und seine Individualität lassen sich nicht so einfach digitalisieren, auch wenn ein Trend zu einer gewissen Uniformität erkennbar ist. Das ist auch eine Folge der Moderne.

Fällt so die Tradition dem Fortschritt zum Opfer?
Ein Designer hat die Aufgabe, die bestehende Wahrnehmung der Dinge in Frage zu stellen, zu ändern und Menschen auf etwas Neues aufmerksam zu machen. Ich glaube, dass wir neue Werte schaffen können, die sich an den Anforderungen der heutigen Zeit, am Alltag der Menschen und an deren Ambitionen orientieren, ohne unsere eigene Geschichte zu vergessen. Issey Miyake hatte dieses Ziel im Laufe seiner Karriere stets vor Augen. Er hat beispielsweise die traditionelle japanische Kunst des „sashiko“ – eine spezielle Stepptechnik – für seine Entwürfe genutzt und damit seine sehr auf Progression versessenen Kunden überrascht. Auch ich beschäftige mich intensiv mit den vergangenen Errungenschaften von Issey Miyake und versuche, eine neue Perspektive der Überraschung zu finden.

Ist so der BAKED STRETCH zustande gekommen?
Wir haben uns ältere Verfahrenstechniken wie PLEATS und A-POC noch einmal genau angesehen und über deren weitere Entwicklung, ja Evolution nachgedacht. Ich hatte das Gefühl, dass eine Reihe von Kleidungsstücken mit dem Namen PLEATS auch einer Maschine bedarf, die ausschließlich der Herstellung von PLEATS dienen sollte. Schließlich ging es uns nicht nur darum, eine Farbe oder Form zu ändern. So ist das Designteam auch in die Recherche und Forschung gegangen. Nach einigen Versuchen – und Fehlschüssen – sind wir dann auf den Kleber gekommen, der sich in unserem PLEATS-Ofen wie Brot „aufbacken“ lässt.

Die aktuelle Kollektion wirkt durch diese Technik sehr organisch, die dreidimensionalen Spiralmuster erinnern an komplexe mathematische Fraktalbilder – eine im Internet populäre Ästhetik.
Das ist genau die Art der Verbindung von traditionellem Handwerk und progressiver Technik, von der ich zuvor sprach. Wobei die entstehenden Spiralmuster alles andere als komplex sind – der fertige Entwurf ist tatsächlich nur aus einem Stück Stoff gemacht, ganz wie ein Kimono. Letztlich sorgt Hitze dafür, dass sich die aufgedruckten Streifen verziehen und eine Spirale formen. Ein magischer Moment in der Produktion – und genau das, was ich ausdrücken wollte.

Ab welchem Punkt ist ein Kleidungsstück denn „fertig“ für Sie?
Es ist angekommen, wenn unsere Kunden die Stücke tragen und glücklich sind.

Würden Sie sagen, dass Sie angekommen sind? Welche Ziele machen Sie in den nächsten zehn Jahren?
Es gibt keine Ziele, alles ist im Fluss. Mein nächster Schritt wird immer sein, weiterzumachen und mit meinem Team neue Kleidung zu erschaffen. Ich glaube daran, dass wir auch in Zukunft noch Dinge schaffen können, die sich keinem Trend unterwerfen müssen.

[Foto]
Armin Morbach
[Realisation]
Nina Petters & Hedi Xandt
[Haare]
Patrick Glatthaar/Ballsaal
[Make-up]
Loni Baur/Ballsaal
[Maniküre]
Ilona Wriede
[Styling]
Nina Petters
[Model]
Nicole Atieno/SMC Model Management
Oktober 24, 2016
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