NEW HABITS

Ihre charakteristisch ehrlichen, autobiografischen Texte haben der in Stockholm als Ebba Tove Elsa Nilsson geborenen Künstlerin den Titel „das traurigste Mädchen Schwedens“ eingebracht. Ihren Künstlernamen Tove Lo bekam sie allerdings bereits im Alter von drei Jahren von ihrer Patentante als Spitznamen – ihrer Liebe zu Luchsen wegen („lo“ heißt Luchs auf Schwedisch). „Habits (Stay High)“, ihre erste Hitsingle, landete auf Platz drei der US-Billboard-Hot-100. Das 2022er-Dance- Pop-Album „Dirt Femme“ ist das erste, das unter ihrem eigenen Label Pretty Swede Records erschienen ist. 2020 heiratete Tove Lo den Producer und Creative Director Charlie Twaddle in Las Vegas.

Tove Lo ist auf ihrer „Dirt Femme“-Tour, als sie sich eine Lebensmittelvergiftung einfängt. Die betrifft sogar ihre Stimme, Konzerte müssen abgesagt werden. Für dieses Interview findet sie ihre Stimme wieder, um über Visual Art, Beauty und Feminity zu sprechen.

DER LOOK SPIELT EINE GROSSE UND WICHTIGE ROLLE BEI DEINEM ALBUM „DIRT FEMME“. WIE KAM ES ZU DEN VISUELLEN ENTSCHEIDUNGEN?

Als ich mir das Album final anhörte, stellte ich fest, dass alles sehr cinematisch und dramatisch klingt. Jeder Song zeigt außerdem eine andere Seite von mir. Was also, wenn jede Seite von mir ihren eigenen Filmcharakter bekommt? Ich sprach mit meinem Stylingteam darüber, wie jede Figur aussehen könnte. Außerdem wollten wir zwar Looks finden, die zum Charakter passen, ihnen dann aber einen Twist verleihen. Ein Ergebnis davon: Wonder Woman mit „Big Dick Energy“. Wir waren fünf Tage in der Wüste und haben 30 Looks geshootet. Jedes Lied hat am Ende ein Visual inspiriert.

ES GIBT MENSCHEN MIT DER FÄHIGKEIT, TÖNE ZUM BEISPIEL ALS EINE BESTIMMTE FARBE ZU SEHEN. GEHT ES DIR AUCH SO? BIST DU EINE SEHR VISUELLE PERSON?

Diese Fähigkeit habe ich nicht. Ich merke aber dann wirklich, dass mir ein Lied wichtig ist, wenn ich etwas im Alltag sehe, zum Beispiel in einem Film, den ich abends schaue, und es sofort mit diesem einen bestimmten Song verbinde. Das kann echt in den beiläufigsten Situationen passieren.

DU LÄSST IN DEINEM ALBUM VIELE EPOCHEN WIEDERAUFLEBEN, WIE DIE 70ER-JAHRE IN „NO ONE DIES FROM LOVE“ ODER DIE 2000ER-JAHRE IN „2 DIE 4“. IN WELCHER WÜRDEST DU VOM VISUELLEN GESICHTSPUNKT AUS AM LIEBSTEN LEBEN?

In den späten 60ern, frühen 70ern. Ich liebe diese Mode- und Interior-Design-Ära. Fotos von damals sehen auch so ikonisch aus. Ich bin mir sicher, es waren keine perfekten Zeiten, aber dieser Foto-Look schafft es definitiv, alles zu romantisieren.

MIT WELCHEM/WELCHER NOCH LEBENDEN ODER BEREITS VERSTORBENEN KÜNSTLER*IN WÜRDEST DU GERNE EINMAL VISUELL ZUSAMMENARBEITEN UND WARUM?

Mit Sean Baker, dem Regisseur von „The Florida Project“. Cinematisch und farbtechnisch ist es so stark und wunderschön. Ich würde gerne einen Film machen, der von ihm gedreht ist, mit einer Story, geschrieben von Sofia Coppola, und mit Musik von Robyn und mir.

STARKER THEMENWECHSEL, VIELLEICHT EIN BISSCHEN DÜSTER, ABER: WELCHEN LOOK WÜRDEST DU DIR ALS DEINEN ALLERLETZTEN WÜNSCHEN?

Entweder mein Hochzeitskleid – ein absolut lächerliches 80er-Jahre-Kleid, das mich aber sehr glücklich macht. Oder das goldene Kostüm mit den Nippeln, das ich derzeit so oft trage. Whitaker Malem hat es extra für mich angefertigt. Ich, wie ich meine Brüste zeige, ist unabsichtlich so ein großer Teil meiner Kunst geworden. Deswegen wäre das ein passendes letztes Statement.

AUF GENAU DIESES KOSTÜM WOLLTE ICH AUCH NOCH ZU SPRECHEN KOMMEN: ICH HABE GESEHEN, DASS DU DAMIT INSTAGRAM AUSGETRICKST HAST, DENN ES WURDE TROTZ NIPPEL NOCH NICHT GELÖSCHT.

Ich glaube, mein Account steht auf der roten Liste, meine Bilder werden nämlich regelmäßig gelöscht, sobald ich auch nur ein bisschen Haut zeige – gut ausgetrickst habe ich Instagram also noch nicht. Deshalb wünsche ich mir einen Filter, der automatisch da, wo die Nippel sind, Discokugeln einfügt. Dann könnte ich oben ohne in einem Video tanzen, ohne dass ich darüber nachdenken muss, ob es gelöscht wird.

APROPOS BEAUTYFILTER, WAS IST DIE SCHLIMMSTE UND DIE BESTE BEAUTYENTSCHEIDUNG, DIE DU JE GETROFFEN HAST?

Die Schlimmste: meine Haare blond zu bleachen. Es sah zwar total cool aus, hat sie aber komplett zerstört. Ich würde es nie wieder machen – auch wenn ich jedes Mal, wenn ich eine blonde Perücke aufsetze, anfange die Haarfarbe zu vermissen. Die Beste: In letzter Zeit inspiriert mich „RuPaul’s Drag Race“ sehr. Die Kunstform der Dragqueens bringt mich dazu, in Sachen Performance und Looks mehr zu wagen und es als zusätzliches Tool zu sehen, um meine Message auszudrücken. Ich bin froh, dass ich jetzt mutiger bin und mit einer künstlerischen, merk- würdigen und zugleich glamourösen und punkigen Ästhetik spiele.

BITTE TEILE EINEN WEITEREN TOVE-LO- EXKLUSIVEN-BEAUTY-HACK MIT UNS!

15 bis 30 Minuten Sauna, ganz viel Wasser trinken und danach ein drei- bis vierminütiges Eisbad. Ich trinke viel Alkohol und um weiterhin frisch auszusehen und die ganzen Toxine loszuwerden, ist das die beste Methode. Ich fühle mich danach wie neugeboren, und meine Haut ist dadurch rein und wach.

WAS IST FÜR DICH EINE „DIRT FEMME“ UND WÜRDEST DU DICH SELBST ALS EINE BEZEICHNEN?

Ja, das bin ich – seitdem ich meine weiblichen Eigenschaften mehr angenommen habe und es sich verändert hat, was ich als eine „starke Frau“ empfinde. Meine Mutter brachte es mal auf den Punkt: „Du teilst immer deine schmutzigen Geheimnisse mit der Welt.“ Diese rohe, ungeschönte Wahrheit und meine manchmal grobe Art zeigen sich im „dirt“.

WAS BEDEUTET DENN FÜR DICH WEIBLICHKEIT UND INWIEFERN HAT SICH DEINE SICHT DARAUF VERÄNDERT?

Zunächst einmal hat Weiblichkeit oder Männlichkeit für mich nichts mit dem Geschlecht zu tun. Als ich zu Beginn meiner Karriere immer die einzige Frau im Raum war, hatte ich das Gefühl, ich müsste in meine Maskulinität schlüpfen, um von den anderen ernst genommen und respektiert zu werden. Das hat dazu geführt, dass ich unterbewusst meine femininen Eigenschaften als schwach angesehen habe: Gefühle zeigen, Verletzbarkeit, Empathie. Nach dem „Me Too“-Movement habe ich auf mein Leben und meine Karriere zurückgeschaut und mir ist aufgefallen: „Hey, warte mal, wenn ich an starke Frauen denke, sind das für mich die, die sich maskulin verhalten.“ Das hat mich wachgerüttelt. Jetzt sehe ich weibliche Eigenschaften in mir und anderen als große Stärken an.

IN „GRAPEFRUIT“ SINGST DU: „WAS ICH SEHE, BIN NICHT ICH.“ WAS SIEHST DU, WENN DU HEUTE IN DEN SPIEGEL SCHAUST?

Früher habe ich die Anwesenheit von Spiegeln gehasst, weil ich gehasst habe, was ich darin sah. Jetzt bin ich nicht mehr so kritisch mit mir, und das ist ein großer Erfolg für jemanden, der so lange an einer Essstörung litt. Heute sehe ich eine Person, die ich gerne ansehe. Ich fühle mich wohl, selbstbewusst und wie ich selbst.

Interview KRISTIN ROLOFF

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